27.03.2023
Gasnetz: Über Belgien soll 2030 mehr Erdgas kommen
Die Netzagentur hat eine Investition mehrerer Ferngasnetzbetreiber (FNB) in erhöhte Gasimport-Kapazitäten aus Richtung Belgien genehmigt. Allerdings zerpflückte sie manche Annahmen.

Quelle: ENERGIE & Management

Deutschland kann im Oktober 2030 seine Gasimport-Kapazität aus Belgien von 11,3 Millionen kWh/h um knapp die Hälfte auf 16,8 Millionen kWh/h steigern. DIe Bundesnetzagentur genehmigte am 15. März einen entsprechenden Investitionsantrag der deutschen FNB Open Grid Europe (OGE), Gascade, Fluxys TENP und Thyssengas für die Ertüchtigung der Abnahmekapazität mit Änderungen. Das geht aus einer Veröffentichung der Beschlusskammer 9 vom 23. März hervor. Die vier FNB halten Anteile an den Pipelines an der belgisch-deutschen Grenze bei Eynatten sowie Eynatten/Raeren/Lichtenbusch.

Belgien kann Deutschland über die Flüssigerdgas(LNG)-Terminals im belgischen Seebrügge und im französischen Dünkirchen neue Gasquellen erschließen. Deutschland muss nicht nur wegfallende russische Importmengen kompensieren, sondern auch die L-Gas-Versorgungsgebiete im Nordwesten künftig mit H-Gas versorgen. LNG kommt stets aus H-Gas-Feldern.

Enormes Importpotenzial

Laut dem Netzentwicklungsplan Gas 2022 könnte der belgische Teil des FNB Fluxys sogar bis zu 13 Milliarden Kubik pro Jahr aus den beiden LNG-Terminals an die deutsche Grenze bringen, mit Potenzial für 20 Milliarden Kubik. Das wären bei einer angenommenen Energiedichte von H-Gas von 12 kWh pro Kubik 156 bis 240 Milliarden kWh. Das entspräche 28 Prozent des hiesigen Gasverbrauchs im vergangenen Jahr.

Bereits jetzt beträgt die feste, frei zuordenbare Exportkapazität von Belgien nach Deutschland 22,6 Millionen (kWh/h)/a − bei rein theoretischer Vollauslastung würden also über ein ganzes Jahr hinweg 198 Milliarden kWh nach Deutschland strömen. Die deutsche Seite kann aber bisher nur die Hälfte der Kapazität entgegennehmen.

Allein, die für die Anerkennung der Kosten maßgebliche unverbindliche Marktabfrage unter Importeuren hatte 2021 ergeben, dass diese bis September 2027 4,2 Millionen kWh/h buchen würden und danach 16,8 Millionen kWh/h. Bei ständiger Volllast entspräche dies 37 respektive 147 Milliarden kWh höheren jährlichen Importen aus Belgien.

Zwei Verdichterstationen und eine GDRM

Jedenfalls blieb zwischen den vier beantragenden FNB und der Netzagentur unstrittig, worin die Ertüchtigung bestehen muss:

  • In Würselen bei Aachen muss eine zweite Verdichtereinheit mit 13 MW Antriebsleistung errichtet werden, um die höheren Importmengen abtransportieren zu können.
  • In Reckrod bei Fulda braucht es ebenfalls Verdichter, mit einer Antriebsleistung von zusammen 16 MW.
  • Dort muss auch eine Gasdruck-Regel-und-Messanlage (GDRM) mit einem Durchsatz von gut 1 Million Normkubikmetern pro Stunde errichtet werden.

Die Arbeiten sollen spätestens zum 1. Oktober 2030 abgeschlossen sein, sodass sich die ersten 10 Prozent der zusätzlichen Kapazität frühestens 2025 als Jahreskapazität auf der Plattform Prisma ersteigern ließen.

Behörde: Inflation selektiv berücksichtigt

Die FNB schätzten die Investitionskosten diesen Januar zu gegenwärtigen Preisen auf 147 Millionen Euro. Inflationsbereinigt kamen sie auf 162 Millionen Euro. Die Beschlusskammer kürzte dies auf 155 Millionen, da die FNB nur die Kosten berücksichtigt, nicht aber die Einnahmen, und die Geldentwertung bis zur Inbetriebnahme angesetzt hätten statt bis zur bilanziellen Aktivierung der neuen Anlagen. Die zusätzlichen Antriebskosten, vor allem die Beschaffung von Triebgas, schätzen die FNB unstrittig auf 28 Millionen Euro pro Jahr.

Die voraussichtlichen zulässigen Mehreinnahmen bis 2044 strich die Beschlusskammer den FNB von 563 auf 477 Millionen Euro zusammen. Ihre Begründung: Die FNB verschoben einfach das Ergebnis der Bedarfsabfrage von ihrem ursprünglichen Beginn im Herbst 2023 um sieben Jahre. Dies war dem Gremium zu spekulativ und teilweise zu weit in der Zukunft.

Regulatorischer Hintergrund und Ergebnis

Das Verhältnis von Kosten zu Mehreinnahmen bei einem marktgebietsüberschreitenden Projekt ist wichtig für die regulatorische Beurteilung, ob es wirtschaftlich ist. Außerdem müssen die Entgelte für die zusätzliche Kapazität so hoch angesetzt sein, dass die neuen Transportkunden sie letztlich refinanzieren, nicht alle Kunden der betreffenden FNB.

Im Ergebnis genehmigte die Beschlusskammer einen geschätzten Referenzpreis von 6,03 Euro/(kWh/h)/a für die frei zuordenbaren Kapazitäten und einen Mindestaufschlag von 1,36 statt der beantragten 1,42 Euro/(kWh/h)/a.

Wasserstoff-Überlegungen spielten in dem Incremental-Capacity-Verfahren gemäß EU-Netzkodex Kapazitätsallokationsmechanismen (NC CAM) keine Rolle. Auch eine Neubewertung des Projekts wegen des Beginns des Ukrainekriegs, in den die Branchenkonsultation fiel, wurde von den FNB abgelehnt. Sie verwiesen damals darauf, dass dies regelmäßig im Netzentwicklungsplan(NEP)-Prozess geschehe.

Ein Sprecher von Fluxys TENP teilte auf Anfrage dieser Redaktion mit, FNB prüfe keinen Rechtsbehelf gegen den Beschluss. Dem Vernehmen nach hält es Thyssengas genauso.

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