Otto Hahn

 

* 8. März 1879 in Frankfurt am Main; † 28. Juli 1968 in Göttingen, war ein deutscher Chemiker, Pionier der Radiochemie, Entdecker der Kernisomerie (Uran Z) und der Kernspaltung des Urans (Nobelpreis 1944). Er gilt als „Vater der Kernchemie“ (Glenn T. Seaborg, Nobelpreisträger für Chemie 1951).

Otto Hahn wurde am 8. März 1879 als jüngster Sohn des Glasermeisters und Unternehmers Heinrich Hahn (1845–1922, „Glasbau Hahn“), und seiner Frau Charlotte Hahn, geb. Giese (1845–1905) in Frankfurt am Main geboren. Er verlebte zusammen mit seinen Brüdern Karl, Heiner und Julius eine behütete Kindheit. Mit etwa 15 Jahren begann er sich in besonderer Weise für Chemie zu interessieren und führte in der Waschküche einfache chemische Experimente durch. Der Vater, durch innovative Ideen, Fleiß und Sparsamkeit zu Wohlstand gekommen, hätte Otto Hahn gern als Architekten gesehen, da er mehrere Wohn- und Geschäftshäuser gebaut oder erworben hatte. Aber er ließ sich überzeugen, dass sein Sohn Otto beabsichtigte, die Laufbahn eines Industriechemikers einzuschlagen.

Nach dem Abitur an der Klinger-Oberrealschule in Frankfurt am Main begann Hahn 1897 an der Universität Marburg sein Studium der Chemie und Mineralogie, als Nebenfächer belegte er Physik und Philosophie. Hier wurde Hahn Mitglied im Naturwissenschaftlich-Medizinischen Verein Studierender zu Marburg, einer naturwissenschaftlichen Studentenverbindung und Vorläuferin der heutigen Landsmannschaft Nibelungia. Das dritte und vierte Semester verbrachte er bei Adolf von Baeyer an der Universität München. 1901 promovierte Hahn in Marburg mit einer Dissertation „Über Bromderivate des Isoeugenols“, ein Thema aus dem Bereich der klassischen organischen Chemie. Nach Ende seines einjährigen Militärdienstes blieb der junge Chemiker noch zwei Jahre als Assistent seines Doktorvaters, Geheimrat Theodor Zincke, an der Universität Marburg.

Hahn strebte eine Tätigkeit in der Industrie an. Aus diesem Grund und zur Verbesserung seiner Sprachkenntnisse wechselte er 1904 an das University College London und wurde Mitarbeiter von Sir William Ramsay, des berühmten Entdeckers der Edelgase. Hier beschäftigte sich Hahn mit dem seinerzeit noch jungen Gebiet der Radiochemie. Bei der Arbeit mit Salzen des Elements Radium entdeckte Hahn 1905 das so genannte Radiothorium (Thorium 228), nach damaligen Vorstellungen ein neues radioaktives chemisches Element. Tatsächlich war es aber ein damals noch unbekanntes Isotop des schon bekannten Elements Thorium. Die Begriffe Isotopie und „Isotop“ wurden aber erst 1913 von Frederick Soddy geprägt. Im Herbst 1905 wechselte Hahn an die McGill-Universität in Montreal, Kanada, um bei Sir Ernest Rutherford seine Kenntnisse zu vertiefen. Hier entdeckte Hahn die radioaktiven chemischen Elemente (nach damaliger Terminologie) Thorium C, Radium D und Radioactinium.

Im Sommer 1906 kehrte er nach Deutschland zurück und wurde Mitarbeiter bei Emil Fischer an der Berliner Universität, der Hahn eine „Holzwerkstatt“ im Chemischen Institut als eigenes Labor zur Verfügung stellte. Dort entdeckte Hahn in wenigen Monaten – mit äußerst primitiven Apparaturen – das Mesothorium I, das Mesothorium II und – unabhängig von Boltwood – die Muttersubstanz des Radiums, das Ionium. Das Mesothorium I (Radium 228) erlangte in den folgenden Jahren eine große Bedeutung, da es sich – ähnlich dem Curieschen Radium 226 – hervorragend für die medizinische Strahlentherapie eignete, mit dem großen Vorteil, dass es in der Herstellung nur die Hälfte kostete (für die Entdeckung des Mesothoriums I wurde Otto Hahn 1914 erstmals von Adolf von Baeyer für den Chemie-Nobelpreis vorgeschlagen). Im Juni 1907 habilitierte sich Hahn an der Universität Berlin. Am 28. September 1907 lernte er die Physikerin Lise Meitner kennen, die von Wien nach Berlin gewechselt war. Hier begann die 30 Jahre dauernde Zusammenarbeit und lebenslange innige Freundschaft der beiden Wissenschaftler. Nachdem die Physikerin Harriet Brooks 1904 zum ersten Mal den radioaktiven Rückstoß beobachtet, aber falsch gedeutet hatte, gelang es Otto Hahn 1909, den Rückstoß bei der Alpha-Umwandlung nachzuweisen und richtig zu interpretieren. „...eine grundsätzlich bedeutungsvolle physikalische Entdeckung mit weittragenden Konsequenzen“, wie es der Physiker Walther Gerlach einmal formulierte. In der Folgezeit wurden von Hahn und Meitner mit der von ihnen neuentwickelten „Rückstoßmethode“ mehrere neue radioaktive Substanzen entdeckt. 1910 wurde Hahn zum Professor ernannt, 1912 übernahm er die radiochemische Abteilung im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin-Dahlem (heute Otto-Hahn-Bau der Freien Universität Berlin, Thielallee 63). Als Nachfolger von Alfred Stock war er von 1928 bis 1946 Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie. Bereits 1924 wurde Hahn zum Ordentlichen Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin ernannt (auf Vorschlag von Einstein, Haber, Planck, Schlenk und von Laue). Nachdem Otto Hahn anlässlich einer Tagung in Stettin im Juni 1911 die Kunststudentin Edith Junghans kennengelernt hatte, heiratete das Paar am 22. März 1913 in Ediths Geburtsstadt Stettin, wo der Vater, Justizrat Paul Junghans, bis zu seinem frühen Tode 1915 Präsident des Stadtparlamentes war. Aus der Ehe ging 1922 als einziger Sohn der spätere Kunsthistoriker und Architekturforscher (an der Hertziana in Rom) Hanno Hahn hervor, der 1960 zusammen mit seiner Frau und Assistentin Ilse Hahn auf einer Studienreise in Frankreich tödlich verunglückte. Sie hinterließen einen 14-jährigen Sohn, Dietrich Hahn. (Zum Gedächtnis an Hanno und Ilse Hahn und zur Förderung junger begabter Kunsthistoriker(innen) wurde im Jahre 1990 der inzwischen international angesehene Hanno-und-Ilse-Hahn-Preis für hervorragende Verdienste um die italienische Kunstgeschichte geschaffen, der alle zwei Jahre vom Kuratorium der Bibliotheca Hertziana in Rom verliehen wird). Während des Ersten Weltkrieges wurde Hahn zum Militär eingezogen, und zwar in die von Fritz Haber geleitete Spezialeinheit für chemische Kriegsführung. Sie entwickelte, testete und produzierte Giftgas für Kriegszwecke. Noch während des Krieges, seit Dezember 1916, nachdem er wieder nach Berlin versetzt worden war, nahm Hahn seine Arbeit am Institut wieder auf. 1917/18 isolierte er mit Lise Meitner eine langlebige Aktivität. Sie nannten das Element Proto-Actinium. 1913 hatten Fajans und Göring eine kurzlebige Aktivität aus Uran isoliert (UX2) und das Element Brevium genannt. Die beiden Aktivitäten sind unterschiedliche Isotope des gleichen Elements Nr. 91, das 1949 von der IUPAC Protactinium genannt wurde. Hahn und Meitner wurden endgültig als Entdecker bestätigt.

Im Februar 1921 veröffentlichte Otto Hahn die erste Mitteilung über seine Entdeckung des Uran Z. Es ist die Entdeckung der Kernisomerie, „eine für die Kernphysik später sehr bedeutungsvoll werdende, damals unverständliche Entdeckung“, wie Walther Gerlach bemerkte, denn erst 1936 gelang es Carl Friedrich von Weizsäcker, das Phänomen der Kernisomerie theoretisch zu erklären. Auch für diese Entdeckung, deren volle Bedeutung doch einige Wenige erkannten, wurde Hahn 1923, unter anderem von Max Planck, für den Chemie-Nobelpreis vorgeschlagen. In den 1920er Jahren schuf sich Otto Hahn ein neues Arbeitsgebiet: Mit der von ihm neuentwickelten „Emaniermethode“ und dem „Emaniervermögen“ begründete er die sogenannte „Angewandte Radiochemie“ zur Erforschung allgemeiner chemischer und physikalisch-chemischer Fragen. „Applied Radiochemistry“ ist der Titel seines in englischer (und später in russischer) Sprache erschienenen Buches, das die 1933 von Hahn während seiner Gastprofessur an der Cornell-Universität in Ithaca, New York (USA) gehaltenen Vorlesungen enthält. – „Mitte der 30er Jahre, sowie in Verbindung mit unserer Arbeit mit Plutonium einige Jahre später, benutzte ich sein Buch ‚Applied Radiochemistry‘ als meine Bibel“, so Glenn T. Seaborg, Präsident der United States Atomic Energy Commission, im Jahre 1966.

Gemeinsam mit Lise Meitner und seinem Assistenten Fritz Straßmann setzte Hahn die Forschungsarbeiten fort, die der italienische Physiker Enrico Fermi durch den Beschuss von Uran mit Neutronen 1934 begonnen hatte. Bis 1938 glaubten alle Wissenschaftler, dass die Elemente mit Ordnungszahlen größer als 92 (die so genannten Transurane) entstehen, wenn man Uranatome mit Neutronen beschießt. (Eine Ausnahme stellte die Chemikerin Ida Noddack dar. Sie nahm den Paradigmenwechsel von 1938/39 vorweg, indem sie in Angewandte Chemie (Nr. 47, Jg. 1934) mutmaßt: „Es wäre denkbar, dass bei der Beschießung schwerer Kerne mit Neutronen diese Kerne in mehrere größere Bruchstücke zerfallen, die zwar Isotope bekannter Elemente, aber nicht Nachbarn der bestrahlten Elemente sind.“ Aber kein Physiker nahm die Noddacksche Spekulation wirklich ernst und überprüfte sie, selbst Ida Noddack nicht (!). Das Zerfallen schwerer Atomkerne in leichtere Elemente galt als völlig unzulässige Theorie und als experimentell undurchführbar.) Am 13. Juli 1938 emigrierte Lise Meitner mit Hahns Hilfe illegal über Holland nach Schweden, da sie durch den Anschluss Österreichs an Deutschland im März 1938 ihre österreichische Staatsbürgerschaft verloren hatte und als Jüdin in besonderer Weise gefährdet war. Als Otto Hahn und Fritz Straßmann im Dezember 1938 in einer mit Neutronen bestrahlten Uranprobe nach Transuranen suchten, fanden sie Spuren des Elements Barium. Zum Nachweis diente ein organisches Bariumsalz des jüdischen Chemikers Wilhelm Traube, dessen spätere Verhaftung und Ermordung Hahn vergeblich zu verhindern suchte. Aufgrund des entscheidenden Experiments am 17. Dezember 1938 (der berühmten „Radium-Barium-Mesothorium-Fraktionierung“) schloss Otto Hahn auf ein „Zerplatzen“ des Urankerns in mittelschwere Atomkerne. Dies war die Entdeckung der Kernspaltung. Hahns und Straßmanns radiochemische Ergebnisse wurden am 6. Januar 1939 in der Zeitschrift „Die Naturwissenschaften“ veröffentlicht und waren der unwiderlegbare Beweis (der durch Berechnungen der bei der Reaktion beteiligten Energien bestätigt wurde), dass das Uran in kleinere, aus leichteren Elementen bestehende Bruchstücke gespalten worden war. Nur kurze Zeit später, am 11. Februar 1939 – (Otto Hahn hatte seine Kollegin Lise Meitner über seine chemischen Experimente brieflich vorab informiert) – lieferten Lise Meitner und ihr Neffe Otto Robert Frisch – auch er war inzwischen nach Schweden emigriert – eine erste theoretisch-physikalische Erklärung der Kernspaltung in der englischen Zeitschrift „Nature“. Frisch prägte dabei den Begriff „nuclear fission“ (Kernspaltung), der in der Folgezeit international anerkannt wurde. „Die Entdeckung der Kernspaltung durch Otto Hahn und Fritz Straßmann hat ein neues Zeitalter in der Geschichte der Menschheit eröffnet. Die dieser Entdeckung zugrunde liegende wissenschaftliche Leistung scheint mir darum so bewundernswert, weil sie ohne jede theoretische Wegweisung auf rein chemischem Weg erreicht worden ist“, schrieb Lise Meitner in einer späteren Würdigung. Und in einem ARD-Interview ergänzte sie: „Es gelang mit einer ungewöhnlich guten Chemie von Hahn und Straßmann, mit einer phantastisch guten Chemie, die zu dieser Zeit wirklich niemand anderer gekonnt hat. Später haben's die Amerikaner gelernt. Aber damals waren wirklich Hahn und Straßmann die einzigen, die das überhaupt machen konnten, weil sie so gute Chemiker waren. Sie haben wirklich mit der Chemie einen physikalischen Prozeß sozusagen nachgewiesen.“ Und Fritz Straßmann erwiderte präzisierend: „Frau Professor Meitner hat erklärt, daß der Erfolg auf die Chemie zurückzuführen ist. Ich muß sie etwas korrigieren. Denn die Chemie hat lediglich zustande gebracht eine Isolierung der einzelnen Substanzen, aber nicht eine genaue Identifizierung. Um das durchzuführen, war die Methode von Herrn Professor Hahn notwendig. Das ist also sein Verdienst.“ Darüber hinaus wird durchaus kontrovers diskutiert, welchen Anteil Lise Meitner an der Deutung der Beobachtungen Hahns hat. Zum Beispiel bezeichnete Ernst Peter Fischer, Physiker und Wissenschaftshistoriker der Universität Konstanz, die Tatsache, dass Lise Meitner keinen Nobelpreis erhielt, sogar drastisch als "Dummheit der schwedischen Akademie"[1]. Während des Krieges arbeitete Otto Hahn – zusammen mit den Mitarbeitern Born, Flügge, Götte, Seelmann-Eggebert und Straßmann – an den Spaltreaktionen des Urans und stellte bis 1945 eine Liste der nachgewiesenen 25 Elemente und etwa 100 Isotope auf. Durch sein entschlossenes Auftreten konnte Otto Hahn, der immer ein Gegner der Nazi-Diktatur war – zusammen mit seiner Frau Edith – zahlreichen gefährdeten oder verfolgten Institutsangehörigen beistehen und sie vor dem Fronteinsatz oder gar der Deportation bewahren. Schon Anfang 1934 war er aus Protest gegen die Entlassung jüdischer Kollegen, insbesondere Lise Meitners, aus dem Lehrkörper der Berliner Universität ausgetreten. Bei Kriegsende 1945 wurde Otto Hahn von der alliierten Spezialeinheit ALSOS in Tailfingen (heute: Albstadt) festgenommen und mit neun deutschen Physikern (darunter Max von Laue, Werner Heisenberg und Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker) in der Nähe von Cambridge (Farm Hall), England, interniert. Dort erfuhren die deutschen Wissenschaftler vom Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Otto Hahn war am Rande der Verzweiflung, da er sich als Entdecker der Kernspaltung mitverantwortlich fühlte für den Tod und das Leiden hunderttausender Japaner. Anfang Januar 1946 durfte die Gruppe wieder nach Deutschland zurückkehren.

1945 zeichnete die Königlich Schwedische Akademie Hahn mit dem Nobelpreis für Chemie 1944 aus („für seine Entdeckung der Spaltung schwerer Atomkerne“ – so die offizielle Begründung), der ihm 1946 von König Gustav V. von Schweden überreicht wurde. „Hahn hat sicher den Nobelpreis für Chemie voll verdient, da ist wirklich kein Zweifel. Aber ich glaube, daß Frisch und ich etwas nicht Unwesentliches zur Aufklärung des Uranspaltunsprozesses beigetragen haben – wie er zustande kommt und daß er mit einer so großen Energieentwicklung verbunden ist, lag Hahn ganz fern.“ schrieb Lise Meitner Ende November 1945 an ihre Freundin Eva von Bahr-Bergius. Und Carl Friedrich von Weizsäcker ergänzte später: „Er hat in der Tat diesen Nobelpreis verdient, hätte ihn auch verdient, ohne daß er diese Entdeckung gemacht hätte. Aber daß für die Kernspaltung ein Nobelpreis fällig war, das war wohl jedermann klar.“

Quelle: Wikipedia


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