25.10.2023
Brüssel plant Rettung europäischer Windkraftindustrie
Die Europäische Kommission hat ein Paket unverbindlicher Maßnahmen zur Unterstützung der Windturbinenhersteller in der EU vorgelegt.

Quelle: enerNEWS-Partner EURACTIV

Die Hersteller leiden seit geraumer Zeit unter dem Druck der billigeren Konkurrenz aus dem europäischen Ausland.

Europa gilt als der Kontinent, auf dem die Windenergie „geboren und aufgewachsen ist“. Jedes Jahr werden Tausende von Windturbinen installiert, die von einem Netzwerk aus Turbinenherstellern und Projektentwicklern konzipiert wurden. Dieses Netzwerk steht unter Druck, da die Turbinenhersteller immer wieder Betriebsverluste verzeichnen.

„Wir wollen, dass die Windenergie weiterhin eine europäische Erfolgsgeschichte bleibt, sowohl aus energiewirtschaftlicher als auch aus industrieller Sicht“, sagte Kommissionsvizepräsident Maroš Šefčovič bei der Vorstellung des Aktionsplans für die Windkraftindustrie am Dienstag (24. Oktober) in Brüssel.

Während Solarpaneele größtenteils im Ausland produziert werden, ist es europäischen Unternehmen gelungen, einen großen Teil des Marktanteils in der Windindustrie zu halten. Für ein Europa, das umweltfreundlich werden und gleichzeitig Industriepolitik betreiben will, ist das eine perfekte Mischung.

Aber es gibt Probleme im Paradies.

Die Turbinenhersteller und Projektentwickler sehen sich mit drei Problemen konfrontiert: hohe Rohstoffpreise, steigende Zinsen und starke Konkurrenz aus dem Ausland. Sie befinden sich in einer schweren Lage.

Alle Turbinenhersteller der EU, vor allem aber Europas größte Unternehmen Siemens Gamesa und das dänische Unternehmen Vestas, machen durchgehend Verluste. Außerdem leiden die Projektentwickler unter bürokratischem Druck sowie Klagen von Umweltverbänden und lokalen Bürgerprotesten (NIMBYs). Zudem werden sie zunehmend von den großen Ölkonzernen, die in den Bereich der erneuerbaren Energien einsteigen, übertrumpft.

Deshalb will Brüssel die Konkurrenz ausbremsen und die Einführung von Windturbinen beschleunigen, indem es die Genehmigungsverfahren verschärft und zusätzliche Finanzmittel über die EU-Banken bereitstellt. Die Europäische Investitionsbank (EIB) beispielsweise wird für Windkraftprojekte risikomindernde Garantien anbieten.

„Die neuen Maßnahmen in den Bereichen Finanzierung, Auktionen und Genehmigungen werden die Entwicklung von Windparks beschleunigen“, so Giles Dickson, Geschäftsführer von WindEurope.

Kapazitätsauktionen

Darüber hinaus gibt es weitere Maßnahmen, um Europa von potenziellen Konkurrenten, insbesondere China, abzuschotten. Die Kommission schlägt eine Überarbeitung der Kapazitätsauktionen vor, die ursprünglich dazu gedacht waren, die Preise für die Verbraucher so niedrig wie möglich zu halten.

„Wir wollen das Auktionssystem verbessern“, erklärte Energiekommissarin Kadri Simson. Die Kommission schlug vor, dass die EU-Länder Auktionsteilnehmer anhand von „Umwelt-, Nachhaltigkeits- und Cybersicherheitsanforderungen“ ausschließen können, um „qualifizierte Auftragnehmer für die Teilnahme an Auktionen“ auszuwählen.

Die Idee ist, den Regierungen zu raten, „nicht-preisliche Zuschlagskriterien zu fördern, die Produkte mit höherer Wertschöpfung belohnen und die industrielle Skalierung vorantreiben. Damit kann eine innovative und wettbewerbsfähige Windkraftindustrie besser unterstützt werden“, heißt es in dem Plan.

Das kann alles bedeuten, von umstrittenen Regeln für die lokale Produktion – bei denen ein Teil der Bauteile aus Europa stammen muss – bis hin zu Auswirkungen auf das gesamte Energiesystem. Im Endeffekt bedeutet das, dass Brüssel den Ball zurück an die EU-Staaten spielt, die nun entscheiden müssen, wie sie mit den Ratschlägen der EU umgehen.

Entgegen den Hoffnungen der Industrie wird die Berücksichtigung dieser „qualitativen Kriterien“ nicht verpflichtend sein. Das Paket ist ein weiterer Meilenstein im Kampf der Industrie gegen den reinen Preiswettbewerb.

Überraschende Cyber-Kriterien

Eine besondere Regelung könnte sich jedoch als viel folgenreicher erweisen, als man annehmen würde: die Cyber-Kriterien.

Russlands Angriff auf die Ukraine – und die damit einhergehende Cyber-Kriegsführung – hatte eine eher unerwartete Folge, und dies ausgerechnet in Deutschland: Tausende von Windturbinen wurden durch einen mutmaßlichen russischen Hack eines Satelliten, der sowohl Windturbinen als auch militärische Daten der Ukraine empfängt, vom Netz genommen.

Um Ähnliches in Zukunft zu verhindern, sollten künftige Auktionen so konzipiert sein, dass sie die „Cyber-Resilienz“ berücksichtigen. So sollte beispielsweise geprüft werden, auf wie vielen verschiedenen Servern die Daten gespeichert sind, ob es Backup-Systeme gibt und Ähnliches.

Ein weiterer sensibler Bereich sind die Kriterien für die Cybersicherheit. Während Windkraftanlagen Strom erzeugen, sammeln sie Unmengen von Daten. Moderne Modelle sind mit rund 300 Sensoren ausgestattet, die alle möglichen Daten erzeugen, darunter auch Kamerabilder zur Abwehr möglicher Vogelschwärme.

Ähnlich wie bei den laufenden Diskussionen über die 5G-Infrastruktur besteht die anhaltende Sorge, dass die Einbettung kostengünstiger chinesischer Technologien in die europäische Basisinfrastruktur später zu Problemen führen könnte.

Ob dies tatsächlich eintritt, hängt von den EU-Staaten ab, die sich nun mit den Vorschlägen aus Brüssel auseinandersetzen müssen.

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