10.11.2023
Deutschland: Ampel einigt sich – Stromsteuersenkung statt Industriestrompreis
Deutschland wird die Strompreise für energieintensive Industrien nicht deckeln, sondern die Stromsteuer für Unternehmen auf das EU-Minimum senken und die Sondertarife für die energieintensivsten Unternehmen um fünf Jahre verlängern.

Quelle: enerNEWS-Partner EURACTIV

Im Mai legte Wirtschaftsminister Robert Habeck Pläne vor, die Preise für industrielle Stromverbraucher auf 60 Euro pro Megawattstunde zu begrenzen, um die wachsende Unzufriedenheit der energieintensiven Industrien Deutschlands zu besänftigen.

Der Vorschlag, der bei den Gewerkschaften und den Ministerpräsidenten der Bundesländer sehr beliebt ist, stieß bei Bundeskanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner sowie bei Wirtschaftswissenschaftlern, welche die Maßnahme als problematische Subvention betrachten, auf heftigen Widerstand.

Nach monatelangem Hin und Her verkündeten die Drei am Donnerstag (9. Oktober) einen Kompromiss.

Anstatt 30 Milliarden Euro für die Deckelung der Strompreise für 10 Jahre auszugeben, wie Habeck vorschlug, oder die Stromsteuer für alle um 95 Prozent zu senken, wie von der FDP gewollt, verbindet der Kompromiss die beiden sehr unterschiedlichen Ansätze.

Die Steuern auf den von der Industrie verbrauchten Strom, der etwa ein Drittel der gesamten Nachfrage in Deutschland ausmacht, werden auf das EU-Minimum von 0,50 Euro pro MWh gesenkt.

Besondere Vergünstigungen werden für die 350 energiehungrigsten Unternehmen in Deutschland beibehalten, die bis 2024 2,6 Milliarden Euro erhalten, um ihre Energierechnungen zu senken, da sie dem globalen Wettbewerb ausgesetzt sind. Für die 90 größten Verbraucher wird die „Super-Cap“-Regelung beibehalten, die ihre Rechnung noch weiter senkt.

„Das ist eine sehr gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort Deutschland in diesen Zeiten“, sagte Scholz.

„Wir setzen mit dieser Entscheidung auf eine marktwirtschaftliche Lösung mit all ihren Vorteilen“, sagte Lindner. Allerdings werde für Verbraucher weiterhin der Steuersatz von 2003 in Höhe von 20,5 Euro pro MWh gelten.

Die Maßnahme ist bis 2025 gesetzlich verankert, wobei je nach Haushaltslage eine Verlängerung bis 2028 in Betracht gezogen wird.

Darüber hinaus bezuschusst die Regierung die Übertragungsnetzentgelte mit 5,5 Milliarden Euro, ebenfalls um die Strompreise zu senken.

Insgesamt beläuft sich die Unterstützung für die Industrie auf Subventionen somit auf um die 2 Milliarden Euro pro Jahr – weit entfernt von dem ursprünglichen Vorschlag, der rund 6 Milliarden Euro vorsah.

„Wir schaffen mit den Maßnahmen jetzt für die nächsten Jahre eine Strompreisbrücke für die besonders energieintensive Industrie und für das produzierende Gewerbe“, sagte Habeck.

Der Aktienkurs des globalen Chemieriesen BASF sprang nach der Ankündigung um 3,7 Prozent nach oben. Der Kurs der Wacker-Chemie-Aktie stieg um 5,7 Prozent.

Es ist davon auszugehen, dass die EU-Kommission den Plänen noch zustimmen muss. Aus informierten Kreisen ist allerdings zu vernehmen, dass man dem durchaus positiv gegenübersteht.

Beifall von Industrieverbänden

Der Branchenverband BDI begrüßte die Ankündigung als „wichtigen Schritt zu mehr Wettbewerbsfähigkeit“, der „dringend notwendige Entlastungen für Unternehmen“ bringe.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) betonte, dass die „sehr deutliche Senkung der Stromsteuer ein logischer Schritt ist, ebenso wie die Ausweitung und der Ausbau der Strompreiskompensation und des sogenannten Super-Caps.“

„Die Entlastung für besonders große industrielle Stromverbraucher mithilfe der erweiterten Strompreiskompensation ist ein geeigneter Kompromiss“, so die Maschinenbauer im Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA).

Auch Lion Hirth, Energieökonom an der Hertie School, äußerte sich positiv und nannte die Einigung „eigentlich ganz vernünftig.“

FDP-Politiker sehen den Kompromiss als Sieg ihrer Partei „Das Strompreispaket ist ein starkes Signal für die Zukunft Deutschlands als Wirtschaftsstandort“, sagte Lukas Köhler, stellvertretender FDP-Chef.

Sie könnten recht haben – die Senkung von Steuern und Netzentgelten war ihr ursprünglicher Vorschlag.

Aus der CDU kam allerdings sofort Kritik. Habeck sei „mit seinem [ursprünglichen] Konzept eines Brückenstrompreises kläglich gescheitert“, sagte Jens Spahn, früher Gesundheitsminister und heute die führende Stimme der Partei in energiepolitischen Fragen. Jetzt werde die energieintensive Industrie das Land verlassen, fügte er hinzu.

KMU gewinnen, Haushalte verlieren

Der größte Einzelgewinner sind die kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland, die ursprünglich keine staatliche Unterstützung erhalten sollten. Die gesenkte Steuer wird jedenfalls ihre Kostenbelastung verringern.

Berlin habe gezeigt, dass es „die Sorgen der vielen kleinen und mittleren Unternehmen genauso ernst nimmt wie die der Großindustrie“, so Köhler.

Die Haushalte, die vom ursprünglichen Vorschlag der FDP, die Stromsteuer für alle zu senken, am meisten profitiert hätten, gehen dagegen leer aus. Der BDEW nannte das den einzigen „Wermutstropfen“ des Kompromisses.

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